Kolumne: Echte Videospielheldinnen gesucht!


  • Kolumne: Echte Videospielheldinnen gesucht!

Heute möchte ich mich mal mit einem Thema an die männliche Leserschaft wenden, das seit Jahren sehr publik ist, aber noch immer nicht überall wirklich angekommen oder verstanden ist: Emazipation in der Spielebranche. Wenn die Kollegen jetzt bitte die Türen verrammeln damit keiner rauskommt. Danke...

Warum schreibe ich über die Gleichbehandlung von Frauen? Die Antwort ist banal: Weil wir Männer auch etwas davon hätten, als Gamer! Was haben wir jetzt? Brüste, hautenge coole Outfits und evtl. noch viel Gewalt. Also ein Haufen bildgewordener Männer(Fetisch-)träume. Dagegen ist nichts zu sagen, man muss einen Markt ja bedienen. Aber darf ich auch mal eine Frau als starken Charakter haben der mich von den Socken haut, ohne dass man sie nur bzw. primär als Sexobjekt betrachtet? Storytelling, Anspruch, kluge Unterhaltung... irgendjemand zu Hause McFly?

Aber worum geht es überhaupt? Genaugenommen geht es doch nur darum, dass eine Spielfigur durch ihre Taten, Aktionen und Reaktionen sowie ihrem Auftreten ein Gefühl der Bindung an den Spieler aufbaut, damit er in die Spielwelt eintauchen kann. Neudeutsch spricht man dabei gern von Immersion. Um dieses Ziel zu erreichen, haben sich die verschiedensten Wege entwickelt. Die Figur kann extrem simplifiziert, aber mit charismatischen Merkmalen ausgestattet sein (Mario...), sie kann eine fesselnde Geschichte besitzen und muss viele harte Schicksalsschläge überstehen (Cloud aus Final Fantasy VII) oder sie kann sogar stumm sein (Half-Life). Die Jungs von SquareEnix und Crystal Dynamics haben im aktuellen Tomb Raider versucht einen verletzlichen Charakter darzustellen, der durch die Gefahr in der sie schwebt, über sich hinauswachsen muss. Es ist kein perfekter Weg, aber einer der insgesamt viel mehr richtig als falsch machte, was auch am guten Drehbuch von Rhianna Pratchet liegt. Es geht also, die Frage ist, wo liegen die typischen Problemstellen die es bisher meist verhindert haben?

Eigentlich gibt es nur zwei relevante Unterscheidungsmerkmale in der Umsetzung von Mann und Frau als Spielfigur, praktisch sind es aber drei: Erscheinungsbild und Charakterzüge prägen die Figur am stärksten. Als drittes kommt etwas dazu, dass sich eigentlich nur wenig unterscheiden sollte: das Verhalten. Natürlich reagiert eine Frau in einer bestimmten Lage anders als ein Mann und umgekehrt, aber eins nach dem anderen....

Erscheinungsbild

Street Fighter - Ryu und Cammy

Zum ersten Punkt muss man nicht viel sagen. Dank Lara Croft gelten Hot-Pants und bauchfreie Oberteile als absolute Grundvoraussetzung für einen überzeugenden weiblichen Charakter. Hier tritt der erste Fehler auf, da sexuelle Attraktion klar mit charakterlicher Attraktion verwechselt wird. Warum dies wichtig ist, klären wir später. Man muss sich nur die Outfits von männlichen und weiblichen Spielen im selben Setting mal vergleichend vor Augen führen, um zu sehen wie die Macher ticken, oder wie sie denken, dass ihr Publikum ticken würde. They're doing it WRONG!

Charakterzüge

Tifa aus Final Fantasy 7

Was wäre ein Uncharted ohne die zynisch-selbstironischen Sprüche von Nathan Drake? Was wäre Link ohne seine naiv-unaufhörliche Verehrung gegenüber Zelda? Was wären Rabbids ohne einen gehörigen Knall?

Charakterzüge definieren eine Figur äußerst stark. Eine gute Figur muss kein herausragendes oder besonderes äußerliches Erscheinungsbild besitzen um zu überzeugen oder gar zu begeistern. Als Beispiel schaue man sich mal die diversen US-Serien wie House, Dexter, TrueBlood oder auch hierzulande Perlen wie Stromberg an. Alles wunderbare Figuren die durch ihre Wesenszüge und ihr Schauspiel glänzen. In der Spielebranche gilt dieser Aspekt durch die seit Jahren praktizierte Verschmelzung mit der Filmbranche zum Glück inzwischen fast ebenso stark.
Lobenswerterweise gibt es hier bezüglich der Gleichstellung eigentlich keinen Mangel. Weibliche Protagonistinnen haben wie ihre männlichen Counterparts alle ihre kleinen Eigenheiten. Leider kommen diese meist kaum zur Geltung da sie, anders als bei den meisten männlichen Figuren, unter dem ersten und dritten Punkt begraben werden.

Verhalten

Chell aus Portal 2

Wie gesagt ist eine Unterscheidung hier eigentlich unnötig. Ich möchte betonen, dass man zwar mit einer weiblichen Figur dramaturgisch ganz andere Entscheidungen abwickeln kann als mit einer männlichen, dies erfordert aber viel Fingerspitzengefühl und gutes Timing. Abseits der Mutterthematik (die interessanterweise auch bei Ellen Ripley in der Alien-Reihe und Sarah Connor in der Terminator-Reihe ein wichtiges Motiv waren) gibt es hier bislang wenige erfolgreiche Fälle.

Daher gilt: prinzipiell sollte sich eine weibliche Figur genau so verhalten wie eine männliche. Ein anderer Kampfstil aufgrund anderer Physis: Ok. Bei jedem Schlag und Tritt Stöhnen, hochflatternde Röcke und immer den Arsch Rausdrücken: nicht Ok.

Listen and repeat: Ich will diese Darstellung nicht verdammen. Wir haben Meinungsfreiheit und Geschmäcker gibt es viele. Allerdings wird momentan zu 95% nur ein einziger Geschmack bedient. Und das ist für eine Branche, die sich als erwachsen verkauft, ein absolutes Armutszeugnis.

Ja und wie sollte so eine emanzipierte Figur aussehen? Jetzt könnte man ja sagen, ich jage einem Traumbild nach, das zwar ganz schön sei, praktisch aber keinen Spielspaß bereite. Doch es gibt einige wenige gute Frauenbilder in Videospielen. Vorhang auf für....

Die Top3 der emanzipiertesten und überzeugendsten Videospielheldinnen

Samus Aran aus Metroid, meist nur in Rüstung zu sehenPlatz 1: Samus Aran (Metroid):
Klar, es war erst nicht bekannt, dass unter der gewaltigen Rüstung eine Frau steckt. Dennoch: Samus Aran ist Kopfgeldjägerin, Entdeckerin versunkener Zivilisationen, dabei fast immer wortlos und immer tough. So gut wie kein einziger Bump-Shot in allen Kamerafahrten, dafür gibt's den Sarah-Connor-Gedächtnispreis in Gold und mit Schleife.
FunFact: Ohne Rüstung ist die gute auch alles andere als unansehnlich. Also; toughes Auftreten und Sexyness zusammen funktionieren auch mit einer schlüssigen Erklärung. Das Thema Rüstung und Frauen selbst bietet mehr als genug Stoff. Zum Glück hat sich schon jemand anderes dazu hervorragend geäußert.

Jade hatte bisher leider nur einen einzigen Auftritt.Platz 2: Jade (Beyond Good & Evil):
Quasi der kleine Gegenentwurf zu Samus. Eine Kamera als Hauptwaffe, modisch gekleidet und mit begeisternden Sidekicks ausgestattet. Jade kann man als Paradebeispiel für alle Adventure-verwandten Spiele mit weiblichen Figuren (siehe auch die Longest-Journey-Reihe oder Madison Paige in Heavy Rain) betrachten. Der Adventure-Bereich ist leider der einzige, in dem es wirklich eine größere Reihe überzeugender und gut dargestellter weiblicher Figuren gibt. Jade war zwar nicht die erste, aber ist bis heute wohl die bekannteste und verdient ein neues Spiel mehr denn je.

Neue Lara CroftAuch von Mirror's Edge ist bisher nichts zu einer Fortsetzung bekannt.Platz 3: Lara Croft (TombRaider, der aktuelle Teil) knapp vor Faith (Mirror's Edge)
Man stelle sich hier bitte einen extrem knapp ausgegangenen Schlagabtausch zwischen Lara und Faith vor. Die Jungs von Crystal Dynamics haben das kleine Wunder geschafft und Lara im aktuellen Teil überraschend viel Glaubwürdigkeit verpasst, zusammen mit einem modernen und unterhaltsamen Gameplay. Dennoch muss Lara auch ihr Erbe tragen, und das lastet immer noch schwer, daher reicht es nur für einen dritten Platz. Aber immerhin, damit hat man eigentlich schon garnicht mehr gerechnet.

Top3 der rückständigsten und verlogensten Frauenbildern in der Spielebranche

Lara CroftPlatz 1: Lara Croft (Tomb Raider, die alten Titel)
Zwei mal in den Top 3, Glückwunsch! Dieser Platz ist der alten Lara Croft gewidmet, die zwar inzwischen wohl definitiv in Rente geschickt wurde, uns aber als Mahnmal für zukünftige GameDesigner erhalten bleiben soll. Das Gameplay der Spiele war meistens top, die Storys gut, einige sogar sehr fesselnd und insgesamt haben sich die Spiele ihren Ruhm mehr als Verdient. Umso bedauerlicher ist es, dass davon absolut gar nichts auf die Hauptfigur zurückfällt. Lara Crofts Anteil am Erfolg der Reihe waren eine handvoll Polygone für ihre monströse Oberweite. Und in den Jahren ist dazu nicht viel hinzugekommen. Die Hintergrundgeschichte wurde nach und nach zusammengestückelt, immer wieder geändert und erweitert und hat nie mehr als einen soliden Rahmen für die Handlung geboten. Charakterlich ist Frau Croft Einheitsware aus dem Katalog von Männerträumen.... gewesen.

Trotz schwachem Start, hat Lightning es inzwischen auf 3 Spiele gebracht.Platz 2: Lightning (Final Fantasy XIII)
Hier ein Fall von gut gemeint, aber extrem schlicht umgesetzt und dann gestolpert. Der Versuch einen neuen Cloud zu schaffen war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Über (bisher) zwei Titel hinweg gelang es den Entwicklern nicht, der Figur mehr als Daily-Soap-Qualitäten zu geben. Mit den Outfits im zweiten Teil war man dann wenigstens so ehrlich und hat die Figur gänzlich zum EyeCandy reduziert. Da boten die restlichen Darsteller in beiden Titeln durchweg mehr. Ob der dritte und letzte Teil der Figur wenigstens ein würdiges Ende bringt? Vermutlich wird sie geblendet von weiteren Eyecandys die in zuckersüßem Pathos ertrinken.

Bayonetta, bald exklusiv auf der WiiU.Platz 3: Bayonetta
Auch hier wieder ein tolles Spiel. Bayonetta ist dabei nicht einmal die schlimmste, aber momentan die bekannteste Vertreterin der Gattung „Alles für die Optik". Immerhin, Brille und Knarren in Absätzen; das sind wenigstens mal ein paar Akzente. Eyecandy durch und durch. Das kann man dem Spiel auch nicht vorhalten. Allerdings hat Bayonetta gefühlt leider tausende Klone, wenn man sich die aktuellen Auslagen in den Läden anschaut.

Genaugenommen hätten auch Peach und Zelda einen Platz verdient, als ewige Damsel in Distress. Aber es ging hier um die Hauptfiguren, welche die beiden ja nie wirklich waren.

Und was soll man nun daraus lernen?

Eine charakterlich starke, nicht sexualisierte Frauenfigur, ist als Träger eines Videospiels heutzutage machbar. Dabei darf man sich durchaus bei der Filmbranche einiges ab schauen. Sarah Connor und Ellen Ripley waren Paraderollen für starke Frauen in einer männerdominierten Umgebung. Und keine von beiden hat sich sexy geräkelt oder ist in knappen Outfits rumgerannt. Das nennt man charakterliche Attraktion, wir erinnern uns. Gibt es auf Männerseite ebenfalls. Schaut euch mal Bruce Willis oder Jack Nicholson an. Mit der neuen Lara Croft hat jetzt ein großes Studio auch endlich einmal gezeigt, dass sie es begriffen haben, während einige Publisher offenbar noch immer geistig in der Steinzeit hängengeblieben sind.

Wie viele Spieler kaufen sich ihre Spiele überhaupt nach dem Anteil an nackter Haut? Oder geht die überwiegende Masse nicht doch nach einem guten Gameplay oder zumindest einem Gameplay, das ihnen gefällt?

Warum also müssen Frauenfiguren so extrem sexualisiert werden? Bitte mal eine Frau mit Witz, Charme, Schlagkraft und einer vollständigen Garderobe. Kann das allen Ernstes so schwer sein? Das größte Hindernis ist und bleibt die Angst der Manager und Designer, eine nicht-sexualisierte Frauenfigur würde sich nicht verkaufen. Und diese Angst ist irrelevant. Es ist Aufgabe der Käufer, also euch, dies deutlich zu machen. Vielleicht wird es erst ein erfolgreiches Kickstarter-Projekt mit so einem Spiel benötigen, damit in der Spielebranche das große Erwachen kommt. Hoffen wir, dass wir darauf - so oder so - nicht zu lange warten müssen. Und wir als Konsumenten sollten uns langsam überlegen, ob wir uns eigentlich permanent nur von nackter Haut ködern lassen wollen, oder ob wir versuchen den Konzernen klar zumachen, dass uns Spaß und gutes Gameplay noch immer am wichtigsten ist.

Das Thema Emanzipation ist leider kein sehr zugängliches, vor allem da es noch keine Ideallösung gibt. Wir alle müssen daran arbeiten, und wenn wir Gamer uns einmal überlegen, was wir an Mehrwert von der Emanzipation haben könnten, wird es uns deutlich leichter fallen, die Scheuklappen abzustreifen, die wir über die Jahrzehnte aufgezwungen bekommen haben. Wie schwierig das Thema ist, kann der interessierte auch an den Twitter-Diskussionen rund um #1reasonwhy und 1#reasontobe (jeweils um Diskriminierungen, aber auch positive Erlebnisse von Frauen in der Videospielbranche) als auch ganz aktuell #aufschrei (Empörung über Sexismus an sich derzeit, Stichwort Brüderle...) sehen. Die über Kickstarter finanzierte Dokureihe Tropes VS. Women von Anita Sarkeesian gehört eh zur Pflichtlektüre in diesem Bereich.Etwas älter, aber nicht weniger aktuell ist dieser Blogeintrag, der sich mit den Mechanismen der Branche und ihren Problemen mit Sexismus selbst beschäftigt. Und ansonsten schaut oder spielt einfach mal einen der oben im Text erwähnten Titel und fragt euch dabei; würde das Spiel wirklich mehr Spaß machen wenn die Hauptfigur nur im Bikini rumrennt und bei jedem Sprung betont lustvoll aufstöhnt?

 


Diesen Artikel teilen


Weitere Artikel zu diesem Thema


Kommentare

Kommentar verfassen

Jetzt einen Kommentar verfassen